Entwicklung der Ticketpreise im öffentlichen Personennahverkehr und Perspektiven für eine klimaverträgliche Mobilität für Alle

Im Jahr 2000 nahm die BSAG 47 Millionen Euro aus Fahrgelderträgen ein (Ticketerlöse ohne Zuschüsse für Ausgleichsleistungen wie das SchülerInnenticket oder das Stadtticket). Im Jahr 2016 lagen die Fahrgelderträge bereits bei über 91 Millionen Euro. Im Schnitt stiegen die Ticketerlöse um jeweils rund 4 Millionen Euro jährlich. Diese Mehreinnahmen werden im Wesentlichen über höhere Ticketpreise realisiert – die Zahl der Fahrgäste bleibt hingegen seit Jahren im Wesentlichen stabil.

Zum 1. Januar 2018 erfolgte erneut eine Preiserhöhung durch den zuständigen VBN. Einzeltickets wurden um 5 Cent auf nun 2,80 Euro verteuert. Jajo Müller, kaufmännischer Vorstand der BSAG erklärte dazu am 15. Januar im Weser-Kurier: „Das Einzelticket für die Bahn ist mit 2,80 Euro so teuer wie kaum irgendwo sonst, das ist ziemlich ausgereizt“. Auch das Monatsticket und das Stadtticket für Sozialleistungsbeziehende wurden jeweils um 1,50 Euro teurer (neuer Preis des  regulären Monatstickets: 65 Euro. Stadtticket 38,90 Euro für Erwachsene bzw. 30,30 Euro für anspruchsberechtigte Kinder). 2013  lag der Preis noch bei 25 Euro für Erwachsene und 20 Euro für Kinder. Anders als in Bremen gibt es in Bremerhaven überhaupt kein ermäßigtes Ticket für Sozialleistungsbeziehende. Auch das reguläre SchülerInnenticket wurde in Bremen um 90 Cent teurer auf nun 47,40 Euro.

Im Sinne einer ökologischen und sozialverträglichen Verkehrswende müssen die Ticketpreise bezahlbar sein. Einige Kommunen und Verkehrsverbünde passen deshalb aktuell ihre Preispolitik an. So wird beispielsweise der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg in diesem Jahr auf eine Preiserhöhung verzichten. In Berlin sind auch die Preise für das Sozialticket (27,50 Euro), das SchülerInnenticket (29,50 Euro) und das ermäßigte SchülerInnenticket (15 Euro) teilweise deutlich günstiger als in Bremen bzw. im VBN. Viele Städte haben außerdem ermäßigte Monatstickets für ältere Menschen.

Aus Untersuchungen der TU Dresden geht hervor, dass der Anteil des ÖPNV bei der Verkehrsmittelwahl in Bremen stark mit dem Pro-Kopf-Einkommen zusammenhängt: Menschen mit geringerem Einkommen sind sehr viel häufiger auf den ÖPNV angerwiesen als Besserverdienende (Bericht der Verwaltung vom 09.08.2017, S. 18).  

Sinnvoll wäre deshalb, einerseits kurzfristig die Preise für das Stadtticket, das SchülerInnenticket und das Azubiticket deutlich abzusenken und möglichst preislich zu vereinheitlichen. Andererseits dürfen auch die regulären Ticketpreise nicht immer weiter steigen. Stattdessen müssten gestiegene Betriebs- und Personalkosten der BSAG durch erhöhte Steuerzuschüsse ausgeglichen werden. Der gut ausgebaute ÖPNV in Wien könnte dabei als Vorbild dienen: 2011 wurde die Jahreskarte deutlich verbilligt und kostet seitdem 365 Euro – umgerechnet 1 Euro pro Tag. 

Perspektivisch ist ein ticketloser, abgabe- oder steuerfinanzierter öffentlicher Nahverkehr die effektivste Maßnahme hin zu einer klimaverträglichen Verkehrspolitik, die Mobilität für alle im urbanen Raum sicherstellt. An dieser Stelle ist mit einer massiv steigenden Nutzung zu rechnen, die den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur und die Anschaffung zahlreicher zusätzlicher Fahrzeuge nötig machen würde. Um diese Effekte zu untersuchen, wären kurzfristig Modellprojekte sinnvoll.

An diesem Großprojekt muss sich auch der Bund viel stärker als bisher finanziell beteiligen: Seit 1997 sind die Mittel des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes (GFVG) für die Länder bei 333 Millionen Euro jährlich gedeckelt. Im Zuge der Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen wurde grundgesetzlich festgeschrieben, dass der Bund  diese Summe bis mindestens 2025 nicht erhöht, obwohl die Investitionsbedarfe der Verkehrsverbünde bundesweit bei etwa einer Milliarde Euro jährlich liegen. Zum Vergleich: Die steuerliche Subvention für Diesel-Fahrzeuge liegt bei etwa 9 Milliarden im Jahr.   

Wir fragen den Senat:

1.    Wie haben sich die Finanzierungsanteile des ÖPNV in Bremen und Bremerhaven in den vergangenen 10 Jahren entwickelt? Bitte unterscheiden nach Fahrgelderträgen, Ausgleichsleistungen, sonstigen Erträgen und dem steuerfinanzierten Verlustausgleich.  

2.    Wie haben sich die steuerlichen Zuschüsse bzw. Ausgleichszahlungen für das SchülerInnenticket, das Stadtticket und die Beförderung  für Anspruchsberechtigte nach den §§ 145 ff. des SGB IX in den vergangenen fünf Jahren im Land Bremen entwickelt? Wir bitten um eine Darstellung in Zuschuss pro Jahr sowie eine Aufgliederung nach Zuschuss pro Kopf und Jahr in der jeweiligen Personengruppe.

3.    Laut dem Verband Deutscher Verkehrsunternehmen liegt der Finanzierungsanteil des ÖPNV zwischen Ticketerlösen und Steuerzuschüssen bundesweit bei etwa 1:1, welche Summe müssten für die Verkehrsbetreibe in Bremen und Bremerhaven zusätzlich bereitgestellt werden, um dieses Verhältnis ebenfalls zu erreichen?  

4.    Teilt der Senat den Befund der TU Dresden, wonach die Nutzung des ÖPNV mit dem Haushaltseinkommen insofern zusammenhängt, als dass Menschen mit geringerem Einkommen häufiger den ÖPNV nutzen? Welche Schlüsse zieht der Senat daraus?

5.    Wie bewertet der Senat grundsätzlich die Möglichkeit, über niedrigere Ticketpreise den Zugang zum ÖPNV vom Einkommen der Person schrittweise zu entkoppeln und so die Zahl der beförderten Fahrgäste signifikant zu erhöhen?

6.    Liegen beim Verkehrsverbund oder im Verkehrsressort Modellrechnungen vor, welche Auswirkungen eine Ticketpreissenkung auf die Zahl der Fahrgäste hätte, zu welchem Teil niedrigere Preise durch steigende Fahrgastzahlen wirtschaftlich kompensiert werden könnten und wie sich die steigende Nachfrage auf die Investitionsbedarfe auswirken würden? Wenn ja: Was sagen diese Berechnungen aus? Wenn nein: Plant der Senat bzw. der VBN eine solche Untersuchung?

7.    Inwiefern sind dem Senat solche Berechnungen aus anderen Kommunen bzw. Verkehrsverbünden oder aus wissenschaftlichen Untersuchungen bekannt?

8.    Welche Informationen liegen dem Senat über die Kosten für Ticketinfrastruktur, Ticketverwaltung und Ticketkontrollen in den Stadtgemeinden Bremen und Bremerhaven vor?

9.    Welche Kosten entstehen im Land Bremen jährlich für Ersatzfreiheitsstrafen bei Beförderungserschleichung (bitte angeben in verhängte Ersatzfreiheitsstrafen, dem Haftkostentagessatz und einem durchschnittlichen Zeitaufwand für ein Verfahren wegen Beförderungserschleichung auf Seiten der Justiz)?

10. Nach dem Gesetz über den öffentlichen Personennahverkehr im Land Bremen (BremÖPNVG) ist die „Herstellung und Sicherung gleichwertiger Lebensbedingungen im gesamten Land“ eine der Aufgaben des ÖPNV. Plant der Senat in diesem Sinne auch die Stadtgemeinde Bremerhaven bei der Einführung eines Sozialtickets finanziell zu unterstützen?

11. Gibt es seitens des Senates Pläne für die Einführung eines SeniorInnentickets im VBN ähnlich wie in Stuttgart oder München (unabhängig von der Frage der freiwilligen Abgabe des Führerscheins)? 

12. Gibt es seitens des Senates Pläne für die kostenlose Mitnahme von Fahrrädern im  öffentlichen Personennahverkehr des VBN? 

13. Steht der Senat in Verhandlungen mit den Umlandgemeinden (beispielsweise Weyhe), um im Rahmen des Verkehrsverbundes den Umstieg auf den ÖPNV für Pendler*innen attraktiver zu machen? Welche Maßnahmen werden hierzu aktuell diskutiert und welche Positionen vertritt der Senat in diesem Kontext?

14. Mit welchen Mitteln nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz rechnet der Senat für das Land bis 2025 und wie wird diese Summe auf die beiden Stadtgemeinden verteilt?

15. Mit welchen Mitteln aus welchen anderen Bundesprogrammen für den ÖPNV im Land Bremen rechnet der Senat bis 2025 und wie wird diese Summe auf die beiden Stadtgemeinden verteilt?

16. Welche Einnahmen ergaben sich im vergangenen Jahr (falls noch nicht darstellbar: hilfsweise im Jahr 2016) aus dem Verkauf der Ticketkategorien Einzel- und Vierer-Ticket, Nachtzuschlag, Monatsticket, SchülerInnenticket, MIA-Abonnement?

17. Welche Mehreinnahmen sieht der Wirtschaftsplan der BSAG und der VBN für das Jahr 2018 im Bereich der Fahrgelderträge vor und zu welchem Anteil werden diese Mehreinnahmen planmäßig durch die erfolgten Preiserhöhungen abgedeckt? 

18. Um welche Summe müsste der steuerliche Zuschuss (Verlustausgleich) auf Grundlage des aktuellen Wirtschaftsplanes rechnerisch erhöht werden, um die zum 1. Januar 2018 umgesetzte Preiserhöhung rückgängig zu machen und gleichzeitig gestiegene Betriebskosten und Investitionen auszufinanzieren?

19. Teilt der Senat die Einschätzung des BSAG-Vorstandes Müller, dass es keine weiteren Preiserhöhungen geben soll und wird sich der Senat im Verkehrsverbund und bei den Verhandlungen über die zukünftigen Verlustausgleich der BSAG entsprechend einsetzen?

20. Wird sich der Senat entsprechend für einen Stopp der Preiserhöhungen im SPNV einsetzen?

21. Um welche Summe müsste der steuerliche Zuschuss (Verlustausgleich) auf Grundlage des aktuellen Wirtschaftsplanes modellhaft erhöht werden, um den Preis für ein BSAG-Einzelticket auf 2,50 Euro, den Preis für ein Jahresticket auf 365 Euro und den Preis für ein Stadtticket auf 25 Euro zu senken?

22. Wie stellt sich die Inanspruchnahme des Stadttickets seit der Einführung in 2010 dar? Wir bitten um Darstellung der jährlichen Beantragungen, der Entwicklung des Ticketpreises und dem städtischen Zuschuss für dieses Angebot seit 2010.

23. Wie hat sich die relative Inanspruchnahme seit 2010 gemessen an der Anzahl der Anspruchsberechtigten entwickelt?

24. Gibt es Seitens des Senates aktuelle Pläne zur Frage, „inwieweit der Nutzer/innenkreis auf Personen mit Einkommen unterhalb der Pfändungsfreigrenze ausgeweitet werden kann und ob eine dadurch vermutete Erhöhung der Nutzerzahlen finanziell getragen werden kann“, wie sie die Bürgerschaft am 13. Dezember 2011 zur Prüfung beschlossen hatte? Welche Kosten wären mit einer solchen Ausweitung des Berechtigtenkreises überschlägig verbunden?

25. Welche weitergehenden Maßnahmen plant der Senat um die Inanspruchnahme des Stadttickets zu verbessern und gesellschaftliche Teilhabe an der Mobilität für Menschen mit wenig Geld zu verbessern?

26. Das Schülerticket darf nicht mehr als 75% des regulären Monatstickets kosten (das Schülerticket kostet aktuell 47,40 Euro = 72,9% vom regulären Monatsticket), ein monatliches MIA-Abonnement für Erwachsene kostet hingegen 53,70 Euro. Das Schülerticket kostet also 88% vom günstigen Monatsabonnement für Erwachsene. Inwiefern plant der Senat die Einführung eines vergünstigten MIAs für SchülerInnen oder die Orientierung des Schülertickets an einem Niveau von 75% des MIA-Preises?

27. Wie bewertet der Senat den Vorschlag der SPD-Landesvorsitzenden, den ÖPNV für Kinder kostenfrei/steuerfinanziert zu machen?

28. Wie stellt sich die Inanspruchnahme des Jobtickets aktuell dar? Welche Möglichkeiten sieht der Senat um das Jobticket auch für kleine und mittelständische Unternehmen attraktiver zu machen etwa indem die Mindestabnahmezahlen (aktuell 50 Stück) gesenkt werden?

29. Wie steht der Senat zur Möglichkeit, den baurechtlich vorgeschriebenen Vorhalt von PKW-Stellflächen bei Unternehmen in dem Maße abzusenken, wie sie zusätzlich verbindlich Jobtickets für ihre Beschäftigten anbieten?

30. Gibt es seitens des Senates Überlegungen für eine attraktivere und günstigere Ausgestaltung des Jobtickets für Beschäftigte des öffentlichen Dienstes? 

Nelson Janßen, Peter Erlanson, Klaus-Rainer Rupp, Kristina Vogt und Fraktion DIE LINKE